Folter in unserer Zeit - oder: "Die Welt unserer Zukunft sieht Juárez viel ähnlicher als Berlin oder New York."

Eine Dokumentation von Gianfranco Rosi.



  

"Wir werden verlieren, wenn wir die Daschners gewähren lassen."

Das ist eine der zentralen Thesen von Ferdinand von Schirach in seinem aktuellen, umstrittenen Kommentar für Spiegel-Online (und im aktuellen Heft) zu den Schuldigen im "Fall Magnus Gäfgen", des Entführers und Mörders von Jakob von Metzler. Seines Erachtens fiel die Strafe bezüglich des damaligen stellvertretenden Polizeipräsident Frankfurts, Wolfgang Daschner, wegen der Folterandrohung zur Erlangung des Aufenthaltsorts des Opfers zu niedrig aus. Der hauptberufliche Strafverteidiger, der mit seinem Buch "Verbrechen" binnen 10 Monaten bereits die 13. Auflage erreicht hat, argumentiert dabei insbesondere:

[...] "Daschner entschied sich, Gäfgen Schmerzen androhen zu lassen. Daschner wusste, dass ihm nicht viel passieren würde. Die Gerichte würden ihn verurteilen, aber sie würden milde sein. Die Bevölkerung wäre auf seiner Seite, die Boulevardpresse würde ihn feiern. Er behielt recht.

Die Folgen müssten ganz anders aussehen. Der Polizist, der sich für die Folter entscheidet, muss hart bestraft werden. Keine Verwarnung mit Strafvorbehalt wie bei Daschner, sondern eine mehrjährige Gefängnisstrafe, Entlassung aus dem Dienst, Streichung der Pension. Es wiegt schwer, wenn der Staat selbst und seine Diener gegen die Gesetze verstoßen. Wenn Daschner solche Strafen hätte befürchten müssen, die jetzt auch der Europäische Gerichtshof indirekt verlangt, wäre es eine echte Entscheidung gewesen: Er rettet das Kind und geht selbst unter. Er würde nicht als Verbrecher eingesperrt, sondern als Held. Helden müssen scheitern, es ist ihr Wesen. Sie fallen, auch wenn sie glauben, sie hätten das Richtige getan." [...]

Das ist in der Theorie korrekt, wenn man die Betrachtung auf die Verteidigung des (absoluten) Folterverbots beschränkt. Es wird aber provokant, weil auch für Wolfgang Daschner (nur) das Schuldstrafrecht gilt. Damit gerät die - notwendige und anerkennenswerte - Verteidigung des (absoluten) Folterverbots in Konflikt mit der individuellen Schuldzumessung, die von Ferdinand von Schirach hier letztlich nicht hinreichend aufgelöst wird.

Danach muss er sich nicht wundern, wenn der Verdacht aufkommt, die Provokation vor allem zur eigenen Profilierung verwendet zu haben (was ich übrigens nicht glaube), womit der Verteidigung des Folterverbots (und der Würde des Täters - und damit auch potentiell nur verdächtiger Beschuldigter) leider wohl kein Dienst erwiesen wäre.



  

Ohne Worte - aber mit erheblichen Backgroundinformationen bis zum Ende des Artikels.