"Richterin Datz-Winter hatte sich bei ihrer Entscheidung auf den Koran Sure 4, Vers 34 berufen: "Für den marokkanischen Kulturkreis ist es nicht unüblich, dass der Mann gegenüber der Frau ein Züchtigungsrecht ausübt." Das hätte die 26 Jahre alte Ehefrau wissen müssen. Ein Härtefall, um eine Scheidung vor Ablauf des Trennungsjahres zu rechtfertigen, liege deshalb nicht vor: Mit dieser Begründung hatte sie den Antrag der 26-Jährigen auf vorzeitige Scheidung zurückgewiesen. Da sie gegen den prügelnden Noch-Ehemann ein Näherungsverbot ausgesprochen habe, bestehe kein Grund zur Eile, argumentierte Datz-Winter. Sie wollte im Gespräch mit der FR keine weitere Stellung zum Fall nehmen." (A. Strecker/V. Gaserow, Frankfurter Rundschau Online)

Soweit zur Sachlage. Daraus wurde eine Grundsatzdiskussion, die beispielhaft die Welt (Freia Peters und Heike Vowinkel) mit der Überschrift markierten: "Strafbonus für religiöse Alltagstäter" und etwa Kommentare von Alice Schwarzer so wiedergibt:

"Das geltende Rechtssystem wird seit langem von islamistischen Kräften unterwandert. Eine Richterin, die sich auf den Koran beruft, spricht Recht im Namen der Scharia und nicht im Namen des Grundgesetzes. Sie hat an einem deutschen Gericht nichts zu suchen.“

Soweit die einhelligen Kommentare aller Orten. In der Sache gibt es natürlich keine Zweifel daran, dass Gewalt in der Ehe unter deutschem Recht nicht zu rechtfertigen ist.

Ein Aspekt aber, so scheint mir, wurde in der gesamten Diskussion - leider wieder einmal - vollkommen außer Acht gelassen, nämlich der Wert der Verfahrensrechte für ein funktionierendes Rechtswesen. Ausgangspunkt ist dabei die richterliche Unabhängigkeit (Art. 97 Abs. 1 GG):

Denn letztlich wurde die Entscheidung der ursprünglich befassten Richterin schnellstens revidiert, und das nicht einmal durch ein Rechtsmittel in zweiter Instanz, sondern offenbar bereits durch einen Befangenheitsantrag, der eine frühzeitige Korrektur der Entscheidung schon in der befassten Instanz ermöglichte. Da wurde nicht etwa ein "aufsichtsführender Richter" tätig, wie sich das der eine oder andere Journalist so vorstellte und niederschrieb, sondern eben ein ordentlicher Befangenheitsantrag durch die nach dem Geschäftsverteilungsplan des Gerichts zuständige Abteilung nach den gesetzlichen Verfahrensvorschriften beschieden.

Genau dafür sind Rechtsbehelfe vorgesehen: Zur Korrektur fehlerhafter Entscheidungen der Justiz durch die Justiz. Wer dagegen meint, vor Gericht würden von vornherein und in allen Instanzen ausschließlich richtige und gerechte Entscheidungen getroffen, ist schlicht naiv und weltfremd - nicht nur, weil es in den seltensten Fällen vor Gericht so eindeutige Sachlagen gibt, die nur eine einzige Wertung zulassen (weshalb wirklich krasse Fehlurteile praktisch immer spätestens mit dem Rechtsmittel korrigiert werden). Er verkennt auch, dass dort, wo gestritten wird, nämlich vor Gericht bisweilen einfach entschieden werden muss, um Streit verbindlich zu schlichten.

Dass ein Richter oder eine Richterin dies mit der Gewissheit des eigenen Gewissens tut und nicht davor Angst haben muss, im Falle eines Fehlurteils von einer anderen staatlichen oder gar politischen Gewalt des Amtes enthoben zu werden, also echte Gewaltenteilung praktiziert wird, ist eine Grundvoraussetzung für eine unabhängige Rechtsprechung, die zugleich in anderen Fällen vorauseilenden Urteilen oder solchen, bei denen mit geringsten Widerständen zu rechnen wäre, allein vorzubeugen vermag.

Wer daran sägt, sägt an seiner eigenen Freiheit.



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